Im 2008 veröffentlichten Buch von Malcom Gladwell „Überflieger – warum manche Menschen erfolgreich sind“ wird die Erfolgsformel «10’000 Stunden Übung zum Erfolg» populär gemacht. Gladwell stellt die Theorie auf, dass man nicht als Experte geboren wird, sondern dass es etwa 10 Jahre «gezielte Praxis» braucht (oder etwa 10`000 Stunden) um in einem Bereich Experte zu werden. Er untersucht Beispiele aus der Musik- Sport und Geschäftswelt, um seine These zu unterstützen.
Die These ist tönt plausibel, und ist wie Musik in den Ohren für einen Deutschsprachigen. Schließlich hat man ihm seit der Geburt mit der protestantischen Ethik und Sprichwörtern wie «Ohne Fleiß kein Preis», «Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen» und «Übung macht den Meister» genau diese Werte eingeflößt.
Beim Thema «Trading» benutzen Seminaranbieter und Trading-Coachs die These der «10’000 Stunden» häufig, um Börsenneulinge zu überzeugen, dass jeder mit Übung und Wissen (das natürlich vom Seminaranbieter geliefert wird) erfolgreich werden kann – aber stimmt das? Kann jedermann erfolgreicher Trader werden?
Ist die 10000 Stunden-Regel aufs Trading anwendbar?
Neuere Studien zeigen, dass gezielte Praxis, Disziplin, und damit die 10’000-Stunden-Regel, vor allem in Gebieten mit fest definierten Rahmenbedingungen effektiv sind, z.B. im Sport und in der Musik, d.h. je mehr man übt, desto besser wird man, und wenn man genug übt, wird man zum Experten. Bei Kategorien, bei denen die Regeln nicht genau definiert sind und die Rahmenbedingungen sich ständig ändern, spielen Spürsinn und Glück eine viel grössere Rolle, als es die meisten wahrhaben wollen. Ein Beispiel für eine solche Kategorie ist die Partnersuche.
Die Welt des Spekulanten ist eine Welt, in der sich die Rahmenbedingungen ständig ändern. Der Anleger/Trader spekuliert auf die Zukunft, und die Zukunft ist per Definition ungewiss. Auch wenn man annehmen würde, dass einem alle Informationen der Gegenwart zu Verfügung stehen, so würden man doch nicht wissen können, was einem in der Zukunft erwartet. Auch der Chart zeigt einem nur die Vergangenheit an. Ein Chart wird nie das nächste Erdbeben oder der nächste Terroranschlag voraussehen können, egal ob man 10’000 Stunden oder 100’000 Stunden Charts beobachtet. Die Ungewissheit und die Risiken der Zukunft sind übrigens die Essenz des Spekulanten.
Ist es nicht interessant, dass der Beruf des Spekulanten an keiner Universität oder an keinem anerkannten College erlernt werden kann? Warum nicht? Weil man an der Börse nur erfolgreich wird, wenn man anders denkt als Masse. Ein Computer-Ingenieur lernt Computer-Sprachen, und schreibt damit nachher Programme, ein Bauingenieur lernt Statik, und baut anhand dem Erlernten Brücken. Beim Trading jedoch geht es nicht darum, das Erlernte auf orthodoxe Weise anzuwenden, sondern genau das Gegenteil: Man muss das Erlernte anders als die Masse anwenden, und es genügt nicht, es nur anders anzuwenden, man muss mit Anderssein auch noch richtig liegen– das ist über längere Zeit sehr schwer. Nur ein Ignorant glaubt, dass die Finanzmärkte eine exakte Wissenschaft sind.
Beim Trading ist weniger meistens mehr
Mehr Aktivismus im Trading schmälern meist die Performance. Nicht ohne Grund gibt es die Börsenweisheit «Hin und her macht das Konto leer». Anders ausgedrückt heißt das, dass Fleiß, Übung und harte Arbeit beim Handeln nicht unbedingt belohnt werden, im Gegenteil: Die genannten Tugenden wirken auf das Konto oft schädlich. Die grössten Gewinne beim Handeln werden gemacht, indem man einer guten Idee die nötige Zeit gibt, und man, nachdem man einen Trade eröffnet, erstmals nichts tut. Das ist nicht einfach: Wir werden in der Gesellschaft gelehrt, dass nichts zu tun und Geld zu verdienen unethisch ist – genau darum tendieren wir dazu, aktiv zu bleiben.
Wie lernt man Trading?
Die Arbeit eines Traders besteht darin, die Zukunft zu verwalten. Man schaut auf den linken Teil eines Charts, und versucht daraus den rechten, noch nicht existierenden Teil, zu prognostizieren. Das führt logischerweise zu vielen Fehleinschätzungen. Fehler werden in der Gesellschaft mit Scham, Dummheit und Ignoranz abgestempelt. Diese Gefühle muss man als Trader beiseitelegen. Man muss mit Fehleinschätzungen leben, ab und zu kann man aus ihnen etwas lernen, aber oftmals auch nicht. Märkte ändern sich ständig, nur wenn man bereit ist, sich vom Markt ändern zu lassen, kann man langfristig mit den besten der Welt mithalten.
Trading lernt man nicht in der Schule. Zwar kann man gewisse Konzepte lernen (z.B. die Dow-Theorie oder die Markttechnik), aber schlussendlich ist es die Arbeit mit sich selber und den Realitäten des Marktes, die einem zum Erfolg bringen. Man muss die absolute Verantwortung für sein Handeln übernehmen, und man muss Entscheidungsprozesse entwickeln, die einem helfen, sich an die Märkte anzupassen.
Sehr gut geschrieben! 100% Zustimmung.
Vielen Dank 🙂
Ich bin der Meinung, dass man Trading in 6 Monaten lernen kann. Ich meine damit den technischen Teil, also das blinde Beherrschen der Handelsplattform, die Orderarten, das Risikomanagement und den Einsatz von Indikatoren. Ob man dadurch allein profitabel wird, ist eine andere Geschichte. Jeder Trader muss eine für ihn passende Handelsstrategie entwickeln, bei der er sich wohlfühlt. Bei dieser Strategie sollte er bleiben und diese permanent optimieren.
Hallo Andreas,
ich gebe dir recht, den technischen Teil lässt sich in sechs Monaten erlernen, und eventuell gibt es sogar bereits Phasen, in denen man Tradingserfolge geniessen kann. Ich glaube jedoch nicht, dass man nach einem halben Jahr Konsistenz im Traden erlangen kann. Dazu gehört sehr viel Erfahrung.